Building a Second Brain
, 2022
Ein Klassiker der modernen Produktiviätsszene. Ich habe es im englischen Original gelesen, aber es gibt eine deutsche Übersetzung deutscher Titel: “Nutzen Sie Ihr zweites Gehirn” . Die Ideen in dem Buch sind gut und können für Menschen mächtige positive Auswirkungen auf ihr Leben haben - zumindest wenn man man den YouTubern und Bloggern der eingangs genannten Szene glauben kann. Ich bin mir aber nicht sicher, ob es das ganze Buch braucht, um diese Ideen zu kommunizieren. Thiago Forte, der Autor des Buches, war in so vielen Podcasts und hat so viel Information online gestellt, dass man sich die Lektüre an derer statt getrost sparen kann. Zumal sich dieses Erstlingswerk auch nicht so flüssig liest, wie die Bücher erfahrener Autoren desselben Genres. Wenn man also der englischen Sprache einigermaßen mächtig ist, dann reichen die frei verfügbaren Ressourcen vollkommen aus, um damit beginnen zu können, nach den von Thiago Forte definierten Prozessen und Regelns sein zweites Hirn zu kultivieren.
Unsauber zusammengefasst beschreibt er zwei Strategien, die ich für nützlich halte:
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PARA, die Organisation der Notizen nach Projects, Areas, Ressources und Archive. Der Grundgedanke dahinter ist die Information, die man zusammenträgt nicht nach groben Themen oder Gebieten zu ordnen, sondern nach Aktualität der eigenen Projekte. Gehört die Notiz zu einem Projekt, an dem ich jetzt gerade aktive arbeite? Dann gehört sie in die Projects, ins Archiv, sollte dem so gar nicht der Fall sein und die beiden Bereiche dazwischen geben dieser binären Einteilung einen spektralen Charakter, der sich irgendwie besser verdauen lässt.
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CODE, die Definition des Lebenszyklus der Notizen als Capture, Organise, Distill und Express. Aus diesem Akronym habe ich zwei Dinge mitgenommen, die sich für mich als wertvoll herausgestellt haben. Einerseits, dass eine Notiz zu machen und sie in einen System abzulegen zwei verschiedene Handlungen sind, die zu verschiedenen Zeitpunkten vollzogen werden sollten. Im Moment des Notierens hat man nur selten auch noch die mentale Kapazität, sich auch noch Gedanken über die Zugehörigkeit der Information zu machen.
Andererseits der Ausdruck der Wahrheit, dass Notizen wertlos sind, mit denen man sich niemals wieder beschäftigt. Daher sollte man dies regelmäßig tun, was unweigerlich zu einem editorialen Prozess führt, also einem Destillieren der Notizen. Selbst das ist allerdings vergebene Liebesmüh’, wenn man die gesammelte Weisheit nie verwendet, um sie auszudrücken. In Schrift, Wort oder Tat.
Natürlich geht das Buch in mehr Tiefe, aber viel von dem, was das Buch zu den hier beschriebenen Ideen hinzufügt ist unnötiger Ballast, diese Kritik muss es sich gefallen lassen.
Café Untergang
, 2023
Das Wiener Café Central, ca. 1900, Bildrechte: Café Central im Palais Ferstel
Am Salzburger Bahnhof entdeckte ich dieses Schmuckstück an der Spitze des Bestsellerregals im „Press&Books“ – und das vollkommen zurecht! Freilich muss ich zugeben, dass Wien in meinem Herzen einen ganz besonderen Platz einnimmt und ich deshalb nur schwer ein objektiver Zeuge dieses Werks sein kann.
Dass sowohl Hitler, Stalin, Trotzki, als auch Tito im Jahr 1913 zeitgleich in der kaiserlich-königlichen Reichshaupt- und Residenzstadt wohnten, war für mich bis dato eher im Bereich des nutzlosen Wissens angesiedelt. Etwas, das man in ungerechtfertigter Selbstzufriedenheit in eine nächtliche politische Diskussion einfließen ließ. Eine Kuriosität, die man auf der Heimfahrt mit dem Taxifahrer diskutieren konnte, der, wie er beim Bezahlen zugab, Philosophie studiert hatte.
Dennoch ist es verwunderlich, dass sich vor Günter Haller noch niemand eingehend mit der Frage beschäftigt hat, wie es denn eigentlich zu diesem vermeintlichen Zufall kam. Haller findet die Antwort in der Nationalitätenfrage, die zu beantworten Stalin von Lenin speziell nach Wien geschickt wurde. In den „Schmelztiegel und Wasserkopf“ des – neben dem russischen – zweiten Vielvölkerstaates Europas.
Dem Anekdotenliebhaber in mir gefällt die erste Hälfte des Buches, in der sich die Protagonisten durch die Straßen, Männerheime und Cafés meines Wiens schlagen, wesentlich besser als die makropolitischen Abhandlungen weithin bekannter Umstände, die im letzten Drittel drohen, das Buch zu einem Pflichtschulgeschichtsbuch zu deklassieren. Zum Glück gelingt ihnen das nicht ganz, und Haller schafft zuletzt einen bravourösen Abschluss mit herzerwärmenden Anekdoten.
His Majesty's Dragon
, 2006
Bis auf eine tiefe Faszination für die Werke Tolkiens, die ich vermutlich mit unzähligen Menschen teile, bin ich kein besonderer Enthusiast des „Fantasy“-Genres. Oft genug bin ich bei dem Versuch gescheitert, mein Interesse für die Handlung zu bewahren, während im Prolog erbarmungslos die unaussprechlichen Namen der Charaktere, Völker, Schauplätze, politische und sonstige Interessengruppen angeführt werden, deren Kenntnis vorausgesetzt wird, um die Handlung überhaupt beginnen zu können. Ein besonders frustrierendes Beispiel für mich ist Neal Stephenson’s „Anathem“, das mit einem kontextlosen Abriss einer 7000-jährigen Geschichte in einer erfundenen Zeitrechnung beginnt, die schwer zu begreifen kaum sein könnte.
Da ist „His Majesty’s Dragon“, das ich auf Englisch gelesen habe, von dem es aber auch eine deutsche Übersetzung gibt, schon eher nach meiner Façon: Zwar ist das Genre eindeutig Fantasy, aber – ähnlich wie bei „Das Lied von Eis und Feuer“ – enger mit der Realität verwandt, die wir kennen. Die fantastischen Elemente sind so sparsam platziert, dass sich die Umstände, unter denen sich die Geschichte entfaltet, leichter nachvollziehen lassen.
So spielt diese Geschichte während der Napoleonischen Kriege und verfolgt einen jungen, britischen Marinekapitän, der nach der Enterung eines feindlichen französischen Schiffes an dessen Bord ein Drachenei findet.
Drachen sind in dieser Welt ein seltener, wenn auch kein absurder Anblick. Sie als Bestandteil des täglichen Lebens zu bezeichnen, wäre maßlos übertrieben, aber sie sind, ob ihrer Eigenschaften als fliegende, monströse Bestien, fest als eigene Waffengattung in die Militärs Europas integriert. Ob der vielen Eigenheiten in der Haltung von Drachen, ist diese Form einer vorindustriellen Luftwaffe jedoch weitgehend vom Rest der Gesellschaft abgegrenzt. Deshalb herrscht auch an Bord des Schiffes gefährliches Halbwissen zu dieser Thematik vor.
Das führt dazu, dass der Kapitän, der dem Drachen den Namen „Temeraire“ gibt, von diesem als sein Reiter akzeptiert wird. Dadurch ist er gezwungen, die Marine zu verlassen und in das ihm fremde Fliegerkorps einzutreten. Es liegt auf der Hand, dass Anzahl, Qualität und Ausbildung der Drachen in dem Europa des Buches einen großen Einfluss auf den Ausgang der Schlachten und Kriege haben, immerhin haben sie alle Eigenschaften, die man von ihnen kennt: Sie sind riesig, schwer, haben scharfe Zähne und Krallen. Besonders begehrte Rassen und Züchtungen können auch Feuer oder Gift speien. Somit ist der Verlust des Dracheneis an die Kriegsgegner auf der britischen Insel für Napoleon besonders bitter.
Ich habe das Buch so genossen, dass ich sofort den zweiten Teil dieser „Temeraire“-Reihe in Angriff genommen habe.
Das Café am Rande der Welt
, 2003
Entweder habe ich irgendeine versteckte, subtile Botschaft nicht verstanden, oder diese Erzählung ist tatsächlich nicht wesentlich tiefgehender als ein durchschnittlicher Mittelschulaufsatz.
Ein Mann in seinen Dreißigern ist frustriert und bekommt den Ratschlag, den man immer wieder als „Follow Your Passion“ proklamiert hört. In einem mystischen Café wird er von einer Kellnerin, dem Inhaber und Koch in Personalunion und einem anderen Gast darüber belehrt, dass er nur herausfinden müsse, was ihn wirklich erfüllt in diesem Leben, ebendies dann zu seinem Beruf machen und damit seien alle Probleme gelöst.
Nicht nur, dass dieser Ratschlag nicht den geringsten Anspruch von Originalität erheben kann, er ist auch nicht besonders gut. Er überträgt dem Beruf die gesamte Verantwortung für ein erfülltes Leben, was unweigerlich zu enttäuschten Erwartungen führt. Die Aussicht, dass jeder banale Job zum Lebensinhalt werden muss, lässt mich schaudern. Ein Beruf kann und ist in den allermeisten Fällen „nur“ ein Vehikel, um das Leben leben zu können, dass man gerne leben möchte. Man muss keine Leidenschaft für das Steuerrecht haben, um wertschätzen zu können, dass die Entlohnung eines Steuerberaters die große Wohnung in der Stadt, das Ferienhaus und das Auslandsstudium der Kinder bezahlt. Man muss nicht den Müll anderer Leute zum Inhalt seines Lebens machen, um wertschätzen zu können, dass man als Müllmann um vierzehn Uhr mit der Arbeit fertig ist und viel Zeit mit der Familie verbringen kann.
Sobald man sich von den herzerwärmenden Wunschvorstellungen der einen, wahren Profession, die alle Probleme lösen wird, befreit, und in die Realität zurückkehrt, wird man feststellen, dass der Anwalt, der in seiner Freizeit mit seiner Death Metal Band durch die dazugehörigen Szenefestivals tourt, ein wesentlich häufigerer Anblick ist, als der Musiker, der so gut verdient wie ein Anwalt, weil er seiner Leidenschaft folgt.
Das Erwachsenenmärchen vom „in sich hineinhören“ und der Hoffnung auf darauffolgende Epiphanie ignoriert auch die Tatsache, dass man die Dinge, die man noch nicht gemacht hat, nicht ausreichend kennt, um sie beurteilen zu können. Schon im achtzehnten Jahrhundert stellte der Philosoph Giambattista Vico fest: „Verum ipsum factum“ – „Wir kennen nur, was wir (selbst) machen.“
Der „Follow Your Passion“-Ratschlag ist bestenfalls eine Binsenweisheit, das ändert sich auch nicht, wenn man ihn mit einer kleinen Erzählung umrahmt.