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Kafka: Um sein Leben schreiben

Franz Kafkas Zeichnungen in transition, Nr. 27 (1938)Franz Kafkas Zeichnungen in transition, Nr. 27 (1938)

Wer in der Schule war, der hat Kafka gelesen, oder er hätte ihn zumindest lesen sollen. In meinem Fall war das Mittel der Wahl meiner Deutschlehrerin “Die Verwandlung”. Vermutlich eine gute Wahl, weil die Erzählung über einen jungen Mann, der sich in seinem Zimmer zu dem verzweifelten Gezeter seiner Familie in einen riesigen Käfer verwandelt, die Essenz dessen gut zu symbolisieren vermag, was wir heute als “kafkaesk” bezeichnen.

Der deutschsprachige Jude aus Prag, mit dem fein zerrissenen Inneren, starb am 3. Juni 1924, weswegen die Literaturwelt das gegenwärtige Jahr zum Kafkajahr erkoren hat. Die Lektüre habe ich also nicht zufällig gewählt. Es war für mich eine zweite Chance, die ich in meiner Großzügigkeit dem Autor geschenkt habe, den ich zu meinen Schultagen als komplett überbewertet und unverhältnismäßig tiefgehend interpretiert abgetan habe.

Fast zwei Jahrzehnte später hat sich meine Meinung - Gott sei Dank - geändert. Auch durch genau ebendiese Erläuterungen aus gegenständlichem Buch ist mir klar geworden, dass mein ursprünglicher Instinkt, Kafkas Schreiben als psychotischen Fiebertraum ohne Intention einer tieferen Bedeutung zu sehen, falsch war. Übereifrige und prätentiöse Literaturwissenschafter haben nicht Bedeutung gefunden, wo keine versteckt war; Kafka selbst war ein übereifriger und prätentiöser Autor. Rüdiger Safranski setzt die entstandenen Texte übersichtlich und leicht verständlich in die Kontexte von Kafkas Lebensabschnitten. Briefe von Kafka, Briefe an Kafka. Tagebucheintragungen seines Freundes Max Brod und seiner gescholtenen ersten Verlobten, Felice Bauer.

Das macht für jemanden wie mich klar, dass Kafka das kafkaeske forciert hat. Es ist ein Spiegel in seine Seele, seine innere Zerrissenheit. Spät, aber doch ist das nun auch mir klar geworden. Wovon ich allerdings nicht abrücke - zumindest nicht bis jetzt - ist die Auffassung, dass speziell seine innere Zerrissenheit nicht von besonderer Bedeutung sein muss, als die aller anderen, nur weil er sie aufgeschrieben hat. Der Weltschmerz, den er fühlt, ist allen Menschen gemein, nur dass die meisten sich nicht über ihn definieren, wie er das so inbrünstig getan hat.

Kafka braucht meinen Segen nicht, um hundert Jahre nach seinem Ableben der deutschsprachige Literat des zwanzigsten Jahrhunderts schlechthin sein zu können. Das ist auch gut so, denn auch wenn ich sein Werk Dank Rüdiger Safranskis Erklärungen jetzt besser verstehe, bin ich immer noch kein Fan.